Dass wir das noch erleben dürfen! Nach neun turbulenten Jahren Entwicklungszeit ist „The Last Guardian“ endlich fertig. Doch kann das Action-Abenteuer aus der kreativen Feder von Fumito Ueda den hohen Erwartungen wirklich gerecht werden und in die Fußstapfen seiner legendären Vorfahren „Ico“ und Shadow of the Colossus“ treten? Play3.de hat sich sowohl auf PlayStation 4 als auch auf PlayStation 4 Pro ins Abenteuer gestürzt, um genau das herauszufinden.
Was wir gut finden
Neugierig machende Geschichte
„The Last Guardian“ erzählt die Geschichte eines Jungen, der eines Tages in einer seltsamen, moosbewachsenen Höhle erwacht. Wieso und weshalb er dorthin gekommen ist? Völlig unklar. Fest steht nur, dass plötzlich mystische Symbole seinen Körper überziehen und sich neben ihm eine wahrlich merkwürdige Kreatur namens Trico befindet – eine Art Mischwesen halb Katze, halb Vogel. Angekettet, verwundet und schwer atmend liegt das Ungetüm von der Statur eines Dinosauriers am Boden und erschrickt den Protagonisten im ersten Augenblick fast zu Tode.
Doch die Angst des Helden verfliegt nach kurzer Dauer, denn der Junge scheint mutig – und außerordentlich hilfsbereit. Mit etwas Nahrung gewinnt er zunächst das Vertrauen des Fabeltiers. Anschließend kraxelt er – scheinbar fest davon überzeugt, nicht gefressen zu werden – auf den Körper der Bestie und entfernt einen zentimetertief im Fleisch verankerten Speer.
Was folgt ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Und der Start in ein mit viel Herzblut designtes, spielerisch auf Kletter- und Rätselpassagen fokussiertes Action-Abenteuer. Ein Spiel, das Ueda selbst gern als Best-of-Album der eingangs erwähnten Klassiker bezeichnet.
Wichtigste Parallele zu „Ico“: Auch in „The Last Guardian“ steckt der Held in einer (in diesem Fall kilometertiefen) Festung fest, aus der es nun irgendwie zu entkommen gilt. Wichtigste Parallele zu „Shadow of the Collosus“: War dort ein Pferd namens Agro der treueste Begleiter des Helden, übernimmt diese Rolle nun ein oft sehr eigenwillig auftretendes Fabelwesen.
Treu, schlau und ziemlich dickköpfig
Womit wir auch schon bei der großen Stärke von „The Last Guardian“ wären: eurem famos inszenierten Sidekick Trico – oder Toriko, wie ihn der Junge gerne liebevoll nennt. Denn für einen KI-gesteuerten Kompagnon verhält sich die herausragend animierte und brillant vertonte Kreatur tatsächlich unglaublich lebensecht. Wirft man ihm beispielsweise eines der seltsamen, überall in der Spielwelt verteilten Fässer vor die Füße, beginnt er zunächst einmal ganz vorsichtig daran zu schnuppern und es mit seinen Pranken zu analysieren. Wenig später bringt er sein riesiges Maul in Position, um das Fass dann samt schmackhaftem Inhalt präzise in seinen Schlund zu wuchten.
Anderenorts könnt ihr unter anderem beobachten, wie sich Trico hektisch hinterm Ohr kratzt, verträumt Schmetterlingen hinterherjagt, genüsslich ein Bad in einem Wasserbecken nimmt oder nervös zögert, bevor er zu einem Sprung über einen klaffenden Abgrund ansetzt. Herrlich anzuschauen! Und oft ziemlich dicht dran am Verhalten echter Katzen und Hunde.
Aber Vorsicht: Wenn sich euer Gefährte erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, ist er meist nur noch schwierig davon abzubringen. In einer Szene entdeckt Trico zum Beispiel einen verführerisch dampfenden Kochtopf. Da sich dieser jedoch im Inneren eines Gewölbes befindet, steckt er seinen Dickschädel neugierig durch einen von insgesamt drei Torbögen. Das Problem: Trico ist viel zu groß, weshalb er die Flüssigkeit im Topf mit seinem Dickschädel beim besten Willen nicht erreichen kann. Gleichzeitig scheint er aber fest entschlossen, erst dann weiterziehen zu wollen, wenn er davon gekostet hat. Eure Aufgabe? Besteht letztendlich darin, ihn wieder auf andere Gedanken zu bringen, damit die Reise fortgesetzt werden kann – nur eine von vielen, sehr organisch ins Leveldesign integrierten Herausforderungen.
Mit Teamwork aus der Todesfestung
Überhaupt gelingt es Udea und Co. sehr gut, für jede Menge Abwechslung zu sorgen. Das Besondere bei „The Last Guardian“: Oft entpuppt sich Trico selbst als Teil der Lösung – etwa indem ihr ihn an eine bestimmte Stellt ruft, dann an seinem majestätischen Federkleid bis zum Kopf emporklettert und von dort aus auf eine bis dato nicht erreichbare Plattform springt.
In anderen Situationen gilt es, seinen Schweif als eine Art Strickleiter zu nutzen oder einen Energiestrahl auf bestimmte Levelobjekte auszurichten, die Trico dann mit knisternden Lichtblitzen in Tausend Teile zerspringen lässt. Schön auch, wie hingebungsvoll das Fantasiegeschöpf seinen menschlichen Freund verteidigt, wenn der mal wieder einige der aggressiven Terrakotta-Krieger am Hals hat – beziehungsweise diese bewusst in Tricos Richtung lockt weil er selbst keine Waffe führt.
Während Trico anfangs vor allem Zurufen gehorcht und darauf basierend Ortswechsel vornimmt, könnt ihr ihm ab einem gewissen Zeitpunkt noch wesentlich konkretere Anweisungen erteilen – ihm etwa befehlen, sich aufzubäumen oder einen großen Satz zu machen. Im Kern ein wahrlich interessantes Gameplay-Element und Grundlage für viele spannende Puzzles. Leider hat die Sache einen großen, aber irgendwie auch nachvollziehbaren Haken: Es braucht Zeit bis Trico begreift, was ihr eigentlich von ihm wollt. Bombardiert ihr ihn beispielsweise im Sekundentakt mit neuen Kommandos, zeigt er sich sichtlich verwirrt – ähnlich wie ein Schäferhund, dem man in kurzer Abfolge immer neue Befehle entgegenruft. Bestes Gegenmittel: Viel Geduld und gezieltes Innehalten, um zu schauen, wie sich einzelne Interaktionen in der Praxis auswirken.
Motivierender Interface-Minimalismus
Schon in den ersten Spielminuten macht „The Last Guardian“ unmissverständlich klar, dass es von bewährten Genre-Konventionen nicht allzu viel hält. Eine jederzeit abrufbare Levelkarte gibt es hier daher ebenso wenig, wie eine fortlaufend aktualisierte Missionsziel-Liste, eine rote „Hier geht’s lang“-Linie am Boden oder einen jederzeit zuschaltbaren Sichtmodus, der wichtige Objekte innerhalb der verwinkelten Umgebung hervorhebt.
Vielmehr strukturieren die Macher das Spielgeschehen mit einem bewährten Design-Kniff. Konkret: Während das ungleiche Duo immer neue Bereiche der verfallenen Festungsanlage erkundet, kommentiert die gealterte Version des Helden das Spielgeschehen aus dem Off und lässt dabei den ein oder anderen wichtigen Hinweis fallen. Ihr erlebt „The Last Guardian“ also streng genommen aus der Retrospektive – was jedoch wunderbar zur Geschichte passt und sich harmonisch ins Gesamtkonstrukt einfügt. Der Umstand, dass der Erzähler ausschließlich Japanisch (mit wahlweise deutschen oder englischen Untertiteln) spricht, stört übrigens kaum und trägt zum gewissen Grad sogar zur einzigartigen Atmosphäre des Abenteuers bei.
Probieren geht über Studieren
Doch zurück zum im vorletzten Absatz erwähnten Interface-Minimalismus: Eben weil klassische Bildschirmeinblendungen praktisch nicht existent sind, versinkt ihr umso intensiver in dieser bizarren, neugierig machenden Fantasiewelt und könnt euch ganz auf die bevorstehende, je nach Spielweise knapp 10- bis 13-stündige Odyssee einlassen.
Durch das Ausbleiben aufdringlicher Unterstützungsmechanismen, fühlt sich die Lösung vieler Rätsel zudem unglaublich befriedigend an. Denn nur wer seine Umgebung aufmerksam beobachtet, Merkwürdiges genauer untersucht und auch Tricos Reaktionen immer wieder die nötige Aufmerksamkeit schenkt, kommt am Ende effektiv voran. Dass in der Regel nur ein einziger Weg ans Ziel führt, ist hingegen schade, letztendlich aber wohl auch ein Resultat der komplizierten Entwicklung.
Was wir schlecht finden
So faszinierend das Szenario und die Interaktion mit Trico auch sein mögen, handwerklich betrachtet leistet sich „The Last Guardian“ dann doch einige Schnitzer. Den Anfang macht die wenig zuverlässige Kameraführung. Speziell in engeren Räumen wird diese Problematik ganz besonders deutlich. Manuelles Nachjustieren ist zwar fast immer möglich, funktioniert jedoch oft nur suboptimal. Vorrangig weil der virtuelle Kameramann streckenweise aktiv dagegenhält, sprich den Bildausschnitt mit schöner Regelmäßig automatisch in eine bestimmte Richtung zu lenken versucht. Ergebnis: Nicht selten geht die Übersicht flöten und Felswände, Bäume und andere Dinge versperren die Sicht.
Stolperstein Numero zwei: Die zuweilen wirklich bockige Steuerung – etwa beim Erklimmen von Tricos prächtigem Gefieder, wo es hin und wieder den Anschein hat, als würde das Spiel bereits getätigte Richtungsangaben durcheinanderbringen. Aber auch am Boden tat der Held nicht immer genau das, wozu wir ihn ermuntern. In einem größeren Außenareal etwa brauchte es mehrere Anläufe, bis wir den Helden dazu überreden konnten, von einer Holztreppe auf einen niedriger gelegenen, direkt angrenzenden Holzsteg zu laufen. Ob’s daran lag, dass ihm die ungenaue Kollisionsabfrage einen tiefen Abgrund signalisierte, wo eigentlich keiner war? Ziemlich wahrscheinlich.
Schade zudem, dass „The Last Guardian” auf der Standard PS4 regelmäßig mit Bildrateneinbrüchen zu kämpfen hat. Unspielbar wird es dadurch freilich nie, konstante 30 Bilder pro Sekunde genießt ihr allerdings nur auf PlayStation 4 Pro in 1080p. Einen 4K-Modus bietet das Spiel auf PS4 Pro zwar ebenfalls an, doch auch der ist gepeinigt von leichten Framedrops. Mal schauen, ob Sony hier in Zukunft noch nachpatcht.
Kommentare
matschbirne007
25. Oktober 2017 um 14:50 UhrMuss den „vangus“ leider in Schutz nehmen. Was er bei seinem ersten Beitrag geschrieben hat, trifft den Nagel auf den Kopf:
„Ich habe nur Angst, dass mich das Game-Design und die Macken zu sehr anpissen.
Mit meiner Kritik von wegen veraltetes PS2/PS3-Game-Design geht es mir vor allem um die Mechaniken, Inszenierung und Leveldesign.“
Und das zu Recht. Das Spiel fühlt sich an vielen Stellen veraltet an, weil es vom Level-Design noch sehr sperrig ist: „Zum Teufel noch ‚mal, wie komm ich hier weiter in diesem Drecks-Level?“ fragt man sich das ein oder andere mal. Das passt eigentlich nicht mehr in dieses filmische Spiele-Genre, wie es heute inszeniert wird. Hier ist man mittlerweile ein viel flüssigeres Erlebnis ohne diese Brüche gewöhnt. Sollte man daher die Finger von dem Spiel lassen?
Auf keinen Fall. Das Spiel ist absolut spielenswert; nicht fehlerfrei, aber trotzdem ein tolles Spielerlebnis für den Artzi-Fartzi-Hipster-Gamer mit Anspruch.
Mir hat es daher gefallen. Für den Vangus sollte es daher auch etwas sein.