Wisst ihr noch als Keanu Reeves die Xbox-Bühne der Electronic Entertainment Expo 2019 betrat und ein Fan ihm zurief „You’re breathtaking“, was Reeves wiederum mit „YOU’RE BREATHTAKING“ und „YOU ARE ALL BREATHTAKING“ erwiderte. Danach kündigte er den Release-Termin zu CD Projekt Reds Science-Fiction-Abenteuer an: Den 16. April 2020. Ach, damals war die Welt noch in Ordnung.
Wie wir alle wissen, kam alles anders: „Cyberpunk 2077“ wurde in seiner siebenjährigen Entwicklungszeit mehrfach verschoben und erschien schließlich am 10. Dezember 2020 für PC, Playstation 4 und Xbox One. Playstation 5 und Xbox Series X/S erhalten erst 2021 eine spezifisch auf die neue Hardware angepasste Version. Fair enough! Was aber alles andere als „fair“ ist, war der Umgang mit den Spielern und vor allem den Besitzern von Playstation 4 und Xbox One.
Wir haben uns bereits in einer früheren Kolumne über die „inakzeptable Technik“ des Spiels ausgelassen. Worum es mir aber an dieser Stelle geht, ist der immense Vertrauensbruch, der mit diesen Problemen einher geht. CD Projekt Red hat eine Menge Kredit verspielt und selbst wenn das Epos in ein paar Monaten dank zusammen ge-crunchter Patches vernünftig laufen sollte, so wird der Start von „Cyberpunk 2077“ in die Gaming-Geschichtsbücher eingehen.
Am eigenen Hype verschluckt?
CD Projekt Red kreierte mit cleverem Marketing und einem coolen Image seinen eigenen Hype. Stück für Stück veröffentlichte man immer neue Details zum Spiel, geizte nicht mit dem stylischen Look von Night City. Mit Aktionen wie dem Verschenken von Figuren im Rahmen der Gamescom 2018 an Journalisten, Blogger, YouTuber und Fachbesucher sorgte man für Wirbel. Es ging sogar so weit, dass mehrere hundert Dollar auf der Auktionsplattform Ebay für den Aufsteller bezahlt wurden. Dazu dann noch Keanu Reeves als Johnny Silverhand. Was hätte hier schief laufen können?
Um kaum ein Spiel in den vergangenen Jahren entwickelte sich so ein Medien- und Social-Media-Rummel. Gerade in Zeiten einer weltweiten Pandemie erwuchs „Cyberpunk 2077“ zum scheinbar letzten Hoffnungsschimmer auf eine gelungene Weihnachtszeit. Der Druck von Außen schien enorm und selbst Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen und beinharten Crunch konnten diese Woge der Euphorie nicht brechen.
Kommunikationsprobleme
Okay, jetzt ist „Cyberpunk 2077“ unter viel Getöse endlich erschienen. Und während die PC-Version überwiegend stabil läuft und bei Spielern wie Kritikern gleichermaßen gut weg kommt, schauen Konsoleros in die Röhre. CD Projekt Red reagiert mit einer Entschuldigung. Dafür, dass man im Vorfeld nicht deutlicher auf die Unterschiede zwischen PC und Konsolen-Version aufmerksam gemacht hat. Und dafür, dass man der Konsolen-Fassung mehr Aufmerksamkeit hätte widmen sollen.
Auch auf den Zertifizierungsprozess von Sony und Microsoft wirft „Cyberpunk 2077“ ein schlechtes Licht, auch wenn diese laut Rami Ismail, den Leiter der Videospielkonferenz Gamedev World, keine Schuld trifft. Wirklich begeistert wird man aber bei den beiden „Großen“ nicht über den Umgang mit der aktuellen Problematik sein. Schließlich deutete CD Projekt Red im gleichen Atemzug die Rückerstattung des Kaufpreises für Konsolenspieler an.
Und wie sich kurze Zeit später herausstellt, ist das weder auf PSN noch bei Xbox Live so einfach ist, wie zunächst angenommen. Tage später zieht Sony in „Matrix“-Manier den Stecker: „Cyberpunk 2077“ ist raus aus dem Playstation Store und Käufer können eine Rückerstattung in Anspruch nehmen. Die gesamte Kommunikation von CD Projekt Red aber wirkt alles andere als konsequent und wenig überraschend reagiert auch der Börsenkurs empfindlich auf die „Cyberpunk“-Schlappe. Und das trotz 8 Millionen Vorbestellungen und bereits eingespielter Entwicklungskosten.
Eine gesamte Generation von Konsolenbesitzern – nämlich all jene mit Playstation 4, Playstation 4 Pro, Xbox One und Xbox One X – wird zum Bremsklotz und bekommt vor Augen geführt, dass ihre Hardware zum alten Eisen gehört.
Vertrauensbrüche so weit das Auge reicht
Ja, CD Projekt Red hat Mist gebaut. Und auch wenn die Entschuldigungsversuche holprig und unbeholfen wirken, so wird man das Spiel auch auf Playstation 4 und Xbox One mit einigen zusätzlichen Monaten zum Laufen bringen. Irgendwann wird es überall im Rahmen der Möglichkeiten spielbar sein: Auf der „base“-Version mit technischen Einschränkungen und auf PS5 dank Technik-Upgrade vermutlich ähnlich wie auf hochgezüchteten PCs.
Trotzdem wiegt die Anzahl der Vertrauensbrüche schwer und wird bei vielen einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Werdet ihr in nächster Zeit nochmal ein derart großes AAA-Game vorbestellen? Schließlich ist ja „Cyberpunk 2077“ nur die Spitze des Eisbergs, andere Titel wie etwa „Assassin’s Creed Valhalla“ oder Watch Dogs: Legions“ hatten ja ebenfalls ihre, wenn auch deutlich geringeren, Problemchen. Auch der zuvor aufgebaute Hype zeigt Probleme in der aktuellen Wahrnehmung und Berichterstattung auf: Transparenz kommt vielerorts zu kurz, Reglementierungen bei der Berichterstattung sorgen für ein falsches Bild beim Leser und damit beim späteren Konsumenten.
Zum Thema
Glanz, Gloria und „Fandom“ wurden in „Cyberpunk 2077“ auf die Spitze getrieben. So weit, dass es nach der Release-Verschiebung Ende Oktober 2020 Morddrohungen gegen die Entwickler gab. So weit, dass PC-Spieler jetzt über all diejenigen lachen, die sich auf „Cyberpunk 2077“ gefreut haben und jetzt oft mit Hardware-Problemen zu kämpfen haben. Videospiele sollten uns alle in unserem Hobby und unserer Leidenschaft zusammenbringen.
Die Akte „Cyberpunk 2077“ hat leider vielerorts das Gegenteil bewirkt. Das war mit Sicherheit nicht das Ansinnen der Entwickler, die Jahre ihres Lebens, Herzblut und Energie in das Projekt gesteckt haben. Die Debatte der vergangenen Wochen zeigt jedoch, dass sich vieles ändern muss: Bei der Spieleentwicklung, der Berichterstattung und der Diskussionskultur.
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Kommentare
DudeTrust
19. Dezember 2020 um 09:05 UhrMan bedenke an Cyberpunk 2077 haben nur rund 500 Leute gearbeitet.
Kintaro Oe
19. Dezember 2020 um 09:13 UhrWie heißt es so schön, schlechte Werbung ist auch Werbung? Was man in den letzten Tagen an Beiträgen und Artikeln zum Thema cyberpunk 2077 gesehen hat, ist schon der Wahnsinn. Am Ende wird CDPR mit einem blauen Auge davon kommen und das Spiel wird gesund gepatcht. Aber wird bis ins zweite Quartal dauern, dann kommen die ersten DLCs, umsonst für alle, man möchte sich ja entschuldigen und schon sind sie wieder die besten für alle… Hoffentlich haben sie wenigstens daraus gelernt.
Gruß
Chains
19. Dezember 2020 um 09:15 UhrJeder schon vergessen was EA, Ubisoft und Diverse Konsorten auf dem PC Markt so abziehen?
Was mit Cyberpunk abläuft ist nicht schön. Aber gerade wenn man am PC spielt, ist ein verbuggtes und unfertiges Spiel nun mal keine Seltenheit.
Der No Man’s Sky Start ist wohl auch schon aus den Erinnerung entschwunden.
Jetzt hier davon zu reden das CD Project alleine Schuld sind für ein angeknackstes Vertrauen der Branche, hat schon Bild Niveau.
VincentV
19. Dezember 2020 um 10:04 UhrBei Witcher 3 lief es zu Anfang doch auch nicht besser. Der erste E3 Trailer zeigte eine Version die vom Retail Release Meilenweit entfernt war, es wurde 2 mal über Monate verschoben, es hatte Bugs und Glitches. Das einzige was besser war war die Grafik auf den Konsolen. Und da hatten sie den Vorteil das es 2015 nur diese Konsolen Versionen gab neben dem PC.
Nur im Gegensatz zu EA und Konsorten war das Game um einiges besser geschrieben, sie haben schnell gehandelt was Bugs anging und es war ihr erster großer Release in dem Ausmaß.
Jetzt ist es nicht viel anders. Nur das eben die Old Gen Versionen kranken da sie an zu vielen Varianten arbeiten mussten und Cyberpunk dazu auch noch viel mehr „PC“ Hardcore Game ist als noch Witcher.
Sie hätten es solange verschieben sollen bis es wirklich fertig ist. Selbst wenn es noch 2 Jahre gedauert hätte (oder zumindest noch früh genug die Last Gen canceln). Aber die Chef Abteilung ist hier eben nicht anders als bei einem EA. Und Investoren erst recht nicht. Und die am meisten drunter leiden sind eben die Leute die schon seit Monaten crunchen und das Ding leider trotzdem noch unfertig ist.
Yamaterasu
19. Dezember 2020 um 10:28 Uhr@big ed
@Gordon_Freeman
Es braucht kein hohes wissenschaftliches Verständnis, um zu sehen, dass die Standardversionen der Konsolen schwach auf der Brust sind. Da musst man sich einfach nur die Spiele der letzten Jahre anschauen und die Performance vergleichen. Xbox One und PS4 kamen dabei stets schlechter weg, als die beiden Pro-Versionen. Und bei einem so ambitionierten Projekt wie Cyberpunk 2077 hätte es mit ein bisschen gesundem Menschenverstand im Vorfeld klar sein müssen, dass es da Probleme geben wird und man Abstriche machen muss.
Bleibt mal auf dem Teppich, Leute.
FCKfanKidz
19. Dezember 2020 um 13:05 UhrAn alle die CD Projekt in Schutz nehmen habe ich mal ne Frage.
Habt ihr das Stockholm Syndrom, oder was stimmt mit euch nicht.
VincentV
19. Dezember 2020 um 13:28 UhrKommt drauf an wen man hier in Schutz nimmt. Die Leute die sich die Hände und den Kopf blutig arbeiten oder die Typen die komische Entscheidungen treffen.
Noir64Bit
20. Dezember 2020 um 10:57 UhrZunächst mal, Vorbestellen werde ich kein Spiel mehr! Aber weniger wegen fehlendem Vertrauen in die Studios, sondern mehr wegen meinem zerstörten Vertrauen in Online Lizenzen!
Ist eine Lizenz defekt, und kann nicht mehr hergestellt werden, weder durch die dafür vorgesehene Funktion, noch durch den Support, dann ist das Geld erstmal futsch und man ärgert sich ohne Ende!
Von daher bin ich auch Froh auch bei der PS5 auf die Disc Version gesetzt zu haben! Denn das Problem scheint, nach einer Recherche im Web, in der Tat sehr oft aufzutreten und meistens werden die Kunden mit dem Problem alleine gelassen!
Da sehe ich eher das Problem!
In Zukunft kaufe ich auch weiter Disc Versionen am release Tag. Und wenn es nicht gefällt wird es ohne Probleme weiterverkauft!